Rezension aus der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien (ADZ) vom 13.5.2022.
Zum neuen Erzählband „Des Lebens ungeteilte Freude“ von Astrid Bartel
Erlebnisse aus allen Lebensabschnitten, Beobachtungen, Erinnerungen. Astrid Bartel hat sie in kurze Erzählungen gepackt und unter dem Titel „Des Lebens ungeteilte Freude“ vereint. Nach den 2005 und 2007 im Hermannstädter hora-Verlag erschienenen Büchern „Das Mädchen von der Quelle“ sowie „Der halbierte Stalin“ ist es der dritte Band mit Erzählungen, den die in Berlin lebende Autorin veröffentlichte. Gelesen werden kann allerdings auch der aus ihrer Feder stammende Roman „Dem Leben verpflichtet“, der auf den Tagebuchaufzeichnungen und Notizen ihres Vaters, des Frauenarztes Dr. Egon Gross (1896-1988) fußt.
Astrid Bartel, 1945 in Hermannstadt/Sibiu geboren, ist eine schriftstellerische Spätzünderin. Sie studierte Geografie und Germanistik in Temeswar/Timișoara und nach der 1965 erfolgten Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland in Köln und widmete sich nach dem Umzug nach Berlin zunächst der Familie. Da die vier Söhne nun erwachsen waren, begann sie nach der Wende in Rumänien als Dolmetscherin für Polizei und Gericht zu arbeiten. Die neue politische Lage aber auch neuerlichen Begegnungen mit Roma und Rumänen – die nach 1989 sehr zahlreich nach Deutschland fuhren und einige mit den Gesetzeshütern in Konflikt gerieten – ließen Kindheits- und Jugenderinnerungen wieder lebendig werden. Sie erzählte ihre Geschichten zunächst in der Familie und begann sie aufzuschreiben. Der neue Band beinhaltet 38 davon.
Geschildert werden in ihnen Begebenheiten aus der Kindheit im kommunistischen Rumänien, der Zeit der willkürlichen Einquartierungen von Familien in die Wohnungen anderer und das sich ergebende Leben in einer zusammengewürfelten, multiethnischen Gemeinschaft, in der jedoch ein Securitate-Mitarbeiter nie fehlte, vor dem man sich in Acht nehmen musste. In mehreren Erzählungen spricht Bartel die Verhaftung in den 1950er Jahren an sowie die stetige Angst davor, dass eine banale Aussage als regimefeindlich gedeutet werden kann. Als dokumentarische Quelle kann die Erzählung „Auf der Schwelle“ (S. 11) gelten, in der die Autorin die Ausreise ihrer Familie schildert. Berichtet wird aber auch über die erste Zeit nach der Ankunft in Deutschland und die Eingewöhnung.
Mit Empathie werden die ins Gefängnis geratenen Roma dargestellt, deren Mentalität und Selbstverständlichkeiten so ganz anders sind, worauf sie auch in einer Erinnerung aus der Kindheit eingeht, ausgelöst beim Lesen der Nachricht vom Tod des Bulibascha Florin Cioabă. Die Überraschung, im Gefängnishof auf der Bank neben dem einstmals gefürchteten Stasi-Chef Erich Mielke gesessen zu haben, hatte nicht die Autorin allein – die von dem ihn bewachenden Wärter darauf angesprochen wurde – sondern sie erwartet auch die Leser am Ende der Erzählung „Im Gefängnis“ (S. 68). In mehreren Geschichten zeichnet Bartel verschmitzt die Charaktere von Nachbarinnen, Reisegefährtinnen oder zufällig angetroffenen Personen nach. Sehr einfühlsam ist die Entscheidung eines jungen Mannes zugunsten der gleichgeschlechtlichen Beziehung und gegen den dank Einfluss des Vaters erzielten Studienplatz in „Prüfungen“ (S. 224) nachgezeichnet.
Astrid Bartel besitzt die Gabe, Erlebtes und Beobachtetes knapp und anschaulich darzustellen. Manche der Erzählungen enden mit ihrer Schlussfolgerung, in anderen überlässt sie es den Lesern, die Moral von der Geschichte zu erkennen. Die Schilderungen der kommunistischen Zeit in Rumänien sind nicht anklagend und dennoch erkennt man als Leser die von Willkür, Einschränkungen und Furcht geprägte Zeit. Die Charakterisierungen der in den verschiedenen Lebensetappen angetroffenen Personen erfolgen die Stirn runzelnd und mit einem verhaltenen Lächeln, aber nicht mahnend. Alles in Allem eine angenehme und unterhaltsame und dennoch lehrreiche Lektüre. Und die am Titelblatt abgebildete Tischlergasse auf der Burg in Schäßburg/Sighișoara wird im Buch nicht erwähnt, das Foto wurde der Atmosphäre wegen ausgewählt, so Astrid Bartel.
Astrid Bartel, „Des Lebens ungeteilte Freude“, 396 Seiten, BoD 2022, bestellbar bei Amazon und Books on Demand (Hardcover, Paperback oder E-Book)
Hannelore Baier