ADZ vom 21. März 2007

"Der halbierte Stalin"

der neue Erzählband von Astrid Bartel

Hermannstadt - Wiederum sind es 16 in sich geschlossene Geschichten. Der Untertitel des Buches kündet an, dass es sich um "Hermannstädter Geschichten" handelt. Erschienen sind sie soeben unter dem neugierig machenden Titel "Der halbierte Stalin". Dieser Titel deutet darauf hin, dass es sich um Erlebnisse aus den 1950ern und den Jahren unmittelbar danach handelt. Sonntagabend (am 18. März) wurde das im hora-Verlag erschienene Buch im Erasmus-Büchercafé vorgestellt. Die Deutsch- und Geschichtslehrerin Gertrud Braisch stellte den Erzählband vor, und die Autorin Astrid Bartel las aus zwei der Geschichten. Sie tat es wiederum so anschaulich und lebendig, wie sie es im Dezember 2005 getan hatte, als sie ihr erstes Buch "Das Mädchen von der Quelle" präsentiert hatte, in dem Geschichten um Roma niedergeschrieben sind.
Das neue Buch von Astrid Bartel beginnt mit dem Abschied: 1945 in Hermannstadt/Sibiu als Tochter des Frauenarztes Egon Gross geboren, siedelte sie als Zwanzigjährige nach Deutschland aus. (Dort lebt sie seit 1975 mit ihrem Mann Prof. Dr. Jürgen Bartel, der auch dieses Buch illustrierte, in Berlin.) "Irgendwie sind wir in diesen schwierigen Zeiten doch ganz gut über die Runden gekommen. Wenn auch manchmal nur mit viel Galgenhumor", lässt sie ihre Tante sagen. Das aber ist der Grundtenor des Buches.
Astrid Bartel erzählte "von früher" und das ist eine Welt, die in Deutschland absurd anmuten muss, die aber auch die Generation der Nachgeborenen in Siebenbürgen bald nicht mehr kennen wird. Vom verpflichtenden Hissen der Sowjetflagge an Nationalfeiertagen, vom Wiedererscheinen des Toilettenpapiers, dem Sammeln von Maulbeerblättern für die Seidenraupen, dem Anstehen für Zucker, der Angst vor Spitzeln und wie man versuchte, sie in die Irre zu führen. Ja, von der Furcht, welche die Kinder spürten, ohne die Zusammenhänge und Hintergründe zu verstehen. Aber auch die Hilfsbereitschaft, die erlebte Nachbarschaft, das Durchwursteln und Improvisieren.
Astrid Bartel hatte für die Familie begonnen "von früher" zu erzählen. Sie besitzt ganz offensichtlich die Gabe, komplizierte Sachverhalte einfach, anschaulich und knapp wiederzugeben. Das tat sie auch bei der Schilderung des Kleinstadt-Lebens in einer doch recht komplizierten und widersprüchlichen Zeit.

Hannelore Baier