Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde (Böhlau Verlag)
Jahrgang 2007, Seite 215

Die Siebenbürger Sächsin Astrid Bartel beschreibt in 16 Geschichten, die hauptsächlich auf Jugenderinnerungen beruhen, ihre Begegnungen mit siebenbürgischen Zigeunern. Zu Beginn des Buches widersetzt sie sich als kleines Mädchen dem Verbot ihrer Eltern, mit Zigeunern zu spielen - und muss feststellen, dass sie zwischen sich und einem Zigeunerjungen mehr Verbindendes als Trennendes findet. Doch eine Rumänin stellt schnell die kulturelle Ordnung Siebenbürgens wieder her, indem sie das sächsische Mädchen in den Hof und den Zigeunerjungen zu seiner Zeltgemeinschaft zurückschickt. Eine für Siebenbürgen typische Situation: während Zigeuner und Sachsen sich (beide!) kollektiv voneinander abschotten, ist eine individuelle Begegnung doch möglich, ja alltäglich. Diese Geschichte eröffnet das ständige Oszillieren des Buches zwischen zwei Ebenen: der des Nebeneinanders, auf welcher Kulturen aneinandergeraten, die als grundsätzlich unterschiedlich wahrgenommen werden, und der des Miteinanders, auf welcher sich Bartel und "ihre" Zigeuner als in ihrer Menschlichkeit Gleiche begegnen. In den verschiedenen Geschichten schließt die Autorin eine geheime Mädchenfreundschaft mit einer Zeltzigeunerin, wird von einer mystischen Wahrsagerin vor dem Ertrinken gerettet oder schwelgt als Dolmetscherin mit einem in Berlin verhafteten Lovara in Heimaterinnerungen. Sie berichtet von einem musisch begabten Zigeunerjungen, dem das Musikkonservatorium verweigert wird, oder einem Corturar, der von der Securitate in den sicheren Tod abgeführt wird - "ich bin ja kein richtiger Mensch, nur ein Zigeunermensch" (S.134), lässt sie einen Stigmatisierten den inferioren Status der Zigeuner in der siebenbürgischen Gesellschaft zusammenfassen. Doch Bartel erzählt auch von einer Magyarin, die einen Zigeunerjungen adoptiert, von zwei Sächsinnen, die sich als Taufpatinnen rührend um ihre zigeunerischen Patenkinder kümmern, oder von ihrer Familie, die einen zwangseinquartierten Zigeuner "durchfüttert". Mitunter blitzt dabei sächsischer Dünkel gegenüber den Zigeunern auf, der jedoch von der Autorin durch ehrliche Reflexion angemahnt und ausgehebelt wird.  Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen schildert Bartel verschiedene Zigeuner nicht nur als Bärenführer, Kesselflicker und Musiker, sondern auch als Schlitzohren, Bettler und Diebe. Abgesehen von manchen etwas stereotyp geratenen Schilderungen (z.B. "krumme, irre Kräuterhexe", S.99), gibt das Buch einen vielschichtigen Einblick in die heterogene Vielfalt der siebenbürgischen Zigeunerkulturen sowie den interethnischen Kontakt zwischen Sachsen und Zigeunern. Bartels Buch ist dabei freilich weder eine wissenschaftliche Abhandlung, noch ein literarisch durchkomponiertes Werk. Es ist eine Sammlung von Erlebnisberichten - und gerade darin liegt die Stärke des Buches.  Denn die Autorin kann das Genre perfekt nutzen, um die alltägliche Interaktion zwischen Sachsen und Zigeunern realitätsnah und doch individuell gefiltert zu dokumentieren.  "Zwei Welten prallen da aufeinander, eine Verbindung zwischen ihnen herzustellen ist schwer und im Grunde genommen von beiden Seiten auch nicht ernsthaft erwünscht" (S. 72), schreibt die Sächsin. Einem Zigeuner legt sie in den Mund: "Wir Zigeunermenschen sind manchmal schwer zu ertragen, doch wenn man uns so nimmt, wie wir sind, fährt man am besten.  Man muss uns auch nicht immer verstehen" (S.131). Wer diese Sätze missverstehen will, wird Bartel eine anti-integrationistische Haltung vorwerfen. (Solcher Geist mag die Autorin dazu bewogen haben, das Buch nicht, wie geplant, "Zigeuner auf meinem Weg" zu nennen, sondern mit einem "politisch korrekten" Untertitel zu versehen, der aus wissenschaftlicher Perspektive in die Irre führt - westeuropäische Sinti tauchen in den Geschichten nicht auf.) Wer jedoch das interessante und berührende Buch richtig liest, wird merken, dass Bartel die andere Welt der verschiedenen Zigeunergruppen duldet und achtet, auch wenn diese mitunter gegen die eigenen aufgeklärten Werte verstoßen. Astrid Bartels Erinnerungen sind ein wichtiges Zeugnis für echte Toleranz im multiethnischen Siebenbürgen.

Johannes Ries