Hermannstädter Zeitung vom 22. Februar 2013

„Was wäre das für ein Geschenk!"


Astrid Bartels Roman über das Schicksal eines siebenbürgischen Arztes

Wer am Puzzle der Gesichter Hermannstadts sitzt, wird das Buch „Dem Leben verpflichtet. Ein Arzt in Siebenbürgen" von Astrid Bartel gleich als ein wichtiges Puzzlestück dieser Seelenlandschaft erkennen und begrüßen. Es ist nämlich ein lesenswerter und wertvoller Baustein für die Vergangenheitsaufarbeitung, die gerade erst begonnen hat. Die Zeit, auf die es sich bezieht, es handelt sich um die Zeit zwischen 1914 und 1965, ist noch in manchen Erinnerungen wach, und die sehr persönliche Schilderung eines Schicksals, das für viele andere stehen mag, doch einzigartig ist, wie alle anderen auch, fesselt den Leser von Anfang an.

„Der halbierte Stalin. Hermannstädter Geschichten". In der Titelgeschichte, „Der halbierte Stalin“ erzählt Astrid Bartel, wie sie persönlich den Abschied von dem Diktator Stalin in Rumänien erlebt hat. Zufällig hat der LKW mit Anhänger, der eine Stalinstatue klammheimlich halbiert zum Einschmelzen ins Hüttenwerk in Hunedoara bringen soll, vor ihrem Haus eine Motorpanne. Sie holt sich Stelzen, um einen Blick auf die Ladung zu werfen. So erlebt sie Weltgeschichte, als eine „kleine Welle der großen Geschichte (die) auch an das Hermannstädter Ufer“ schwappte. In dem neuesten Buch geht es um mehrere „Wellen" der Weltgeschichte, die an dem Schicksal eines Hermannstädter Frauenarztes rütteln und ihn schließlich dazu bewegen, die Freiheit der Heimat vorzuziehen. Worte dienen oft der Verschleierung, heißt es. Doch in diesem Roman ist es anders. Die Autorin schildert z. B. in der Einleitung des Kapitels „Der Schlüssel zum Hühnerstall" anschaulich, wie es in Hermannstadt zu schneien beginnt, während Christiane, die zweite Frau des Arztes im Winter 1943 zum Ursulinenkloster schreitet, wo ein Lazarett eingerichtet ist: „Ganz langsam tanzten die Flocken zur Erde, manche schinen etwas schneller als andere zur Erde zu schweben. Irgendwann holten die schnellen Flocken die langsamen ein, und wenn es der Zufall wollte, fi elen die beiden Flocken als eine Art Doppeldecker gemeinsam zu Boden. Kurz bevor sie den Boden erreichten, waren es dann große Wattebäusche, fast so groß wie jene, die Christiane vom Operationstisch her kannte." Allein diese Sätze reichen aus, um die verdichtete Sehnsucht der Autorin nach ihrem „geliebten Hermannstadt" auszudrücken. Bei aller Sehnsucht und bei allem Heimweh, die aus diesen Zeilen sprechen, bleibt Astrid Bartel im Hintergrund und lässt ihre Hauptgestalt oder Nebengestalten immer wieder zu Wort kommen, die direkte Rede beherrscht die Szene im Roman. Nach dem 23. August 1944, als Rumänien das Kriegsbündnis mit Hitlerdeutschland löst, sinniert Dr. Hartmann: „In unsere Zukunft setze ich keine große Ho nung. (...) Man braucht kein Politiker zu sein, um zu wissen, dass große Umwälzungen auf uns zukommen werden. Vielleicht ist es ganz gut, wenn wir unsere Zukunft nur in dichtem Nebel erahnen können und vielleicht nicht einmal das! Sonst würden wir wahrscheinlich verzweifeln." Wenn man bedenkt, was diese neue Situation für die Deutschen in Rumänien an Folgen mit sich gebracht hat, klingen diese Worte geradezu prophetisch. Wer wie Dr. Hartmann alles aufgeben musste, was er sich aufgebaut hatte, nicht zuletzt durfte er auch seinen Beruf nicht mehr ausüben, und wurde als fast 70-Jähriger sogar auch noch ins Gefängnis gesteckt, hätte wohl verzweifeln können. Aber den Grundtenor seiner Aussagen bestimmt schließlich die Ho nung: „Es ist bitter, die Heimat und den Besitz verlieren zu müssen", stellt er 1965 vor der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland fest, fügt aber hinzu: „So Gott will, werden wir aber bald in Freiheit leben dürfen. Was wäre das für ein Geschenk!" An diesem Geschenk durfte der Arzt sich noch 21 Jahre erfreuen, zunächst in Düsseldorf und schließlich in Berlin.

Beatrice UNGAR